2011-11-01

A.

A. war immer betrunken und fröhlich.

Er roch wie Obdachlose halt riechen, wenn sie nicht duschen können und ihr Besitz an Kleidung sich auf das beschränkt, was sie anhaben. Er sprach kaum deutsch, aber er war freundlich und zugänglich. Ausgeschlagene Zähne und blaue Augen hatte er öfter, weil er von seinen, nunja, Freunden regelmäßig verprügelt wurde. Er bekam fünf Mal ein Zelt, es ist ihm jedesmal geraubt worden. Blaues Auge, ausgeschlagene Zähne.

A. war immer betrunken und fröhlich.

Er war quittegelb, als er zuletzt gesehen wurde, kam ins Krankenhaus wurde operiert und war dann verschwunden. Seine, nunja, Freunde sagten er sei tot. Seine Schwestern kamen aus Polen, vier blonde Frauen, die, äh, sehr polnisch aussahen. Sorgenvolle, ratlose Gesichter. Krankenhäuser anrufen, Psychiatrien anrufen. Er ist weg. Unauffindbar. An seinen üblichen Schlafplätzen, seinen Pfaden, ist er nicht. Auch nicht als Leiche. Die Polizei ist für den Fall eines verschwundenen obdachlosen Polen zur Zeit nicht übermäßig leicht zu interessieren.

Bis vor einer Woche war ich sicher, dass er tot ist. Das bin ich jetzt nicht mehr.

Er scheint noch eine Schwester in Deutschland zu haben. Er ist offenbar im letzten Jahr mehr als zehn Mal operiert worden. Er scheint ein Kind zu haben. Man findet die seltsamsten Sachen heraus.

Aber A. bleibt verschwunden.

Seit ca. einem Jahr habe ich Kontakt zu einigen Obdachlosen. Warum das so ist, ist eine Geschichte, die ich vielleicht ein andermal erzähle. Sie hat mit Äthiopien zu tun.
Jedenfalls sind das extreme Menschen, die unter extremen Bedingungen extremes leisten, um am Leben zu bleiben. Da sind, sagenwirmal, sehr bunte Lebensläufe.

Vielleicht weiß ich bald mehr.

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